Zeitstrahl mit Mutter

1. Das erste Weihnachten

(Es geht hier um eine Reduktion, die literarisch um das Weihnachtsfest des jeweiligen Jahres vorgenommen wurde. Sie ist fragmentarisch. An alle Weihnachten erinnert man sich vielleicht mit Fotos, aber: Niemand erinnert sich an sein erstes Weihnachten! Das Weihnachten ist sozusagen ein pars pro toto.)

PS: …Deine Tante erzählt Dir über Dein erstes Weihnachtsfest höchstens jedes Jahr, was für einen schlechten Kuchen Deine Mutter gebacken hat und dass sie mit der Hausarbeit nicht hinterherkam.

Ehrlich gesagt, wer mir das erzählt hat, weiß ich nicht, und auch nicht um welches Weihnachten es da ging. Aber dass es jemand gesagt hat, „Deine Mutter kann nicht kochen”, da bin ich mir sicher.

2. Weihnachten

Meine Mutter fährt meinen betrunkenen Vater nach Hause, deswegen müssen wir früher gehen. Ich putze meine Zähne bei Oma.

3.

4.

5. Weihnachten 

Meine Mutter schenkt mir einen grünen Roller. Sie leiht ihn wenige Wochen später aus, um meine Schwester schneller vom Kindergarten zu holen. Die Nachbarn tratschen und tratschen und tratschen über meine Mutter auf dem giftgrünen Roller. Meine Mutter: eine Frau, die nicht weiß, wie man sich als Erwachsene verhält.

6.

Weihnachten Wahrscheinlich haben die Nachbarn sich vom Getratsche erholt. Es gibt Pfannkuchen.

7.

8. Weihnachten 

Es gibt wieder Pfannkuchen. Mein Vater ist im Koma, Überarbeitung und Benzodiazepan. Es gibt Pfannkuchen für 6, weil meine Schwester und ich sehr viele Freunde mitbringen durften. Meine Mutter hat aus Versehen Tee in die Pfannkuchen geschüttet.

9.

10. Weihnachten

Meine Mutter schreibt zum Tod ihres Vaters auf einen Zettel, dass ich ihr ein Bild gemalt hätte, und es habe sie getröstet. Sie skizziert das Bild. Ich finde den Zettel Jahre später in einer Kiste mit Unterlagen des Katasteramts.

11.

12.

13. Weihnachten

Es gibt Pfannkuchen vegan.

14.

15.

16. Weihnachten

Wir fahren in das billigste Ferienhaus nach Holland und essen 14 Bällchen Eis beim All you can eat. Meine Schwester, ihre zwei Freunde und ich trinken uns gegenseitig das eine Gratisgetränk weg. Ich hasse meine Eltern für ihre Armut und dass ich nie ein zweites Getränk haben kann.

17. Weihnachten

Es gibt Nachtisch zuerst.

18. Weihnachten

Meine Mutter schenkt mir einen Zauberstab. Ich stelle ihn in eine Ecke meines Jugendzimmers und ziehe aus.

19.

20.

21. Weihnachten

Ich sage meiner Mutter, dass ich nie mehr mit ihr reden will.

22.

23. Weihnachten

Beerdigung meiner Großmutter. Meine Mutter schiebt mich neben meinen erblindeten Vater und sagt mir, ich habe ihn schon immer am besten trösten können. Sie lässt mir ihren Platz. Es gibt keine Geschenke.

24. Weihnachten

Meine Mutter hat mir das alte Sofa meiner Großmutter in meine Studienstadt liefern lassen, weil ich so oft darauf geschlafen habe. Weihnachts-Vorgeschenk im Juli.

25. Weihnachten

Wir sitzen in der Küche, in Schlafanzügen, und spritzen meinem Vater Medikamente in den Bauch.

26. Weihnachten

Ich koche und es gibt Nachtisch zuerst. Amy Winehouse ist tot, und ich schenke meiner Mutter eine Reise nach Holland. Meine Mutter sagt, ich fahre nie mehr nach Holland, ich kann Papa nicht so lang alleine lassen. Sie sagt es nicht traurig.