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Im Rabbit Hole der antiken Manosphere

  • Henne R.
  • 13. Mai 2024
  • 7 Min. Lesezeit


Wer kennt es nicht: Man surft ein wenig im Internet, klickt hier mal auf einen Link, schaut sich dort mal ein Video an – und plötzlich findet man sich in einem Forum wieder, in dem haarsträubende Argumentationen und menschenverachtende Kommentare scheinbar zum guten Ton gehören. Da recherchiert man einmal zu Italo-Western, biegt ein paar Mal im Internet falsch ab und gleitet plötzlich in die „Manosphere“ – mehr oder weniger stark aufeinander bezogene Websites und Communities, in denen Männer darüber fabulieren, dass sie in der Gesellschaft benachteiligt seien und von Frauen unterdrückt würden. Hier tummeln sich unterschiedlichste Antifeministen und übertrumpfen sich mit hanebüchenen Ausführungen darüber, warum die Frau natürlicherweise weniger wert sei oder wie Männer genau in der Gesellschaft benachteiligt würden. Es handelt sich um ein bekanntes Problem: Diese Foren sind Echokammern, die eine weitere Radikalisierung forcieren. Doch obwohl die Vernetzungsmöglichkeiten des Internets und algorithmische Echokammern dieses Problem potenzieren, handelt es sich hierbei keineswegs um ein ausschließlich modernes Problem. Vielmehr kann Frauenhass auf eine lange Historie zurückblicken. Antifeminismus hat also einen verdammt langen Bart, und wenn wir ihn zurückverfolgen wollen, kommen wir um einen der ältesten und einflussreichsten Philosophen der Antike nicht herum: Aristoteles.


Aristoteles ist nicht gerade für besonders egalitäre oder emanzipatorische Gedanken bekannt: Vielmehr zieht sich durch seine Schriften der Versuch der Legitimierung des damaligen Status Quo – mit allen problematischen Positionen wie z.B. Sklaverei oder „natürliche“ Unterlegenheit der Frau. Kommen wir also nun zu Aristoteles‘ Geschlechterkonzeption. Wer hier von wem regiert wird, ist für Aristoteles klar: „Desgleichen ist das Verhältnis des Männlichen zum Weiblichen von Natur so, dass das eine besser, das andere geringer ist, und das eine regiert und das andere regiert wird.“[1] 


Aber warum sollte die Frau naturgemäß vom Mann beherrscht werden? Der Grund liegt für Aristoteles in dem spezifisch weiblichen Charakter. Hier einige aristotelische „Fakten“ über weibliche Tiere und Frauen im Speziellen: Sie sind naturgemäß sanfter veranlagt, schließlich sind sie mehr auf die Aufzucht der Jungen bedacht als die Männchen, außerdem sind sie mitleidiger und näher am Wasser gebaut als Männer. Ihr Charakter ist aber zugleich auch deutlich hinterlistiger, unberechenbarer und unbeherrschter. Sie sind im Allgemeinen streitsüchtiger, neidischer und vor allem nachtragender. Frauen sind einfach schamloser und falscher, sie können sich besser verstellen, sich aber gleichzeitig auch nicht entschließen. Sie lassen schneller die Hoffnung fahren und sind weniger mutig als Männer – gut, beim letzten Punkt ist zugegebenermaßen zu sagen, dass das nicht allgemein gilt. Bei Panther- und Bärenweibchen scheint das nicht so zu sein, aber Ausnahmen bestätigen schließlich die Regel! Die Tugend der Frau ist nicht zu sprechen, sie soll vor allem zuhören: „Es gilt überall, was der Dichter vom Weibe sagt: ‚Dem Weibe bringt das Schweigen Zier‘, aber für den Mann trifft dies nicht mehr zu.“ Aber zum Glück kann man Weibchen gut dahingehend erziehen. Weibliche Tiere, und damit auch Frauen, haben für Aristoteles zwar unbestritten alle negativen Charakteristika, gleichzeitig sind sie aber auch gelehriger und schneller zu zähmen – bei entsprechender Erziehung kann man der Frau also beibringen, dass sie still den Haushalt zu führen und die Kinder zu ernähren hat.[2] 

 

Aristoteles kann zwar in gewisser Weise als der Vater der modernen Wissenschaft betrachtet werden – schließlich begann er damit, biologische Phänomene zu untersuchen, beschreiben und kategorisieren – doch seine Beschreibungen sind hier viel eher moralischer Natur: In der heutigen Biologie sind normative Beschreibungen wie „hinterlistig“ oder „schamlos“ zumindest nicht gängig. Wenn Aristoteles also davon spricht, dass das Männliche besser sei als das Weibliche, dann zielt er damit vor allem auf die moralische Sphäre ab. Doch die moralische Unterlegenheit ist für ihn wiederum biologisch bestimmt: „Denn Weibchen sein bedeutet eine gewisse Schwäche, weil es nicht imstande ist, aus der letzten Nahrungsstufe Samen ausreifen zu lassen. Diese Stufe ist Blut oder bei den Blutlosen der Ersatz dafür, und der Grund ist die Kälte.“ Okay, was will uns Aristoteles damit sagen? In der antiken Medizin ging man davon aus, dass der Körper aus vier verschiedenen Säften besteht, die durch Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit bestimmt wurden. In diesem Zuge wurde das Männliche als warm und trocken codiert, das Weibliche hingegen als feucht und kalt. Das Weibchen sei dem Männchen also nicht nur in moralischer Hinsicht unterlegen, sondern auch in körperlicher, da es aufgrund seiner Physiologie nicht in der Lage sei, Nahrung bis zur höchsten Stufe zu kochen. Nach Aristoteles‘ Auffassung wird mit der Nahrung zuerst der Körper versorgt. Die Nahrung, die nach diesem Versorgungsprozess übrigbleibt, bilde die Grundlage für weitere Umwandlungsprozesse, in erster Linie in Fett, Blut und Samen. Da Frauen nicht genug körpereigene Hitze besäßen, könne Nahrung bei ihnen nicht zu Samen werden, sondern nur dessen Vorstufe Blut, was wiederum die Periode der Frau erklärt – das Ergebnis eines unzureichenden Kochungsprozesses. Diese „geronnene Monatsflüssigkeit“ spiele bei der Zeugung dennoch eine Rolle, aber keine wirklich aktive. Für Aristoteles muss es eine zeugende Kraft geben und den Stoff, der geformt wird. Es ist ja wohl keine Frage, wer hier das bewegende und aktive Prinzip verkörpert und wer das passive und leidende. Die Frau liefert also nur das Rohmaterial, der Mann hingegen das Bewegungsprinzip, das aus diesem Material einen Menschen formt. 

 

Rekapitulieren wir kurz: Die Frau ist dem Mann nach Aristoteles sowohl in moralischer als auch körperlicher Hinsicht unterlegen. Grund hierfür sei eine der Frau größere innewohnende Kälte und Feuchtigkeit, die dadurch die körpereigene Wärme reduziere. Hierdurch könne der Vorgang der Samenproduktion nicht gänzlich abgeschlossen werden, produziert werde lediglich die Vorstufe des Samens – von Aristoteles Katamenien genannt – die beim Zeugungsprozess den Stoff bereitstelle. Die Frau ist für Aristoteles in erster Linie ein unvollständiger und defizitärer Mann:

 

„Wie nämlich von Verkrüppelten manchmal wieder Verkrüppelte abstammen, manchmal Nicht-Verkrüppelte, so entsteht aus einem Weibchen manchmal wieder ein Weibchen, manchmal aber auch nicht, sondern ein Männchen. Ein Weibchen ist wie ein verkrüppeltes Männchen, und der Monatsfluss ist Same, nur nicht reiner Same. Denn eines fehlt ihm, die Lebensquelle. […] Denn diese Quelle bringt erst der männliche Same mit, und erst wenn die Ausscheidung im weiblichen Körper diese bekommen hat, wird ein Keimling daraus.“[3]

 

Den Katamenien fehlt die Lebensquelle, die offensichtlich nur im potenten Samen des Mannes schlummert.  Frauen sind für Aristoteles also eine Laune der Natur, gleichzeitig aber auch ein notwendiges Übel. Denn auch die Lebensquelle allein kann nichts schaffen, so wie auch der beste (natürlich männliche) Bildhauer nun mal einen Felsblock braucht, um daraus eine Statue zu formen. Aristoteles‘ Geschlechterkonzeption ist hier in seine Teleologie eingebettet. Mit Teleologie ist die Grundannahme gemeint, dass alles im Kosmos zweckgerichtet ist: Die menschliche Zeugung hat den Zweck, einen Mann zu produzieren, das Männliche ist quasi in der Reihe der Entwicklung die letzte Stufe, daher sind Frauen „verkrüppelt“, da sie aufgrund ihrer Physiologie diese Stufe nicht erreichen können.  Aristoteles‘ Auffassung von Normalität setzt den Mann als Dreh- und Angelpunkt. Die Kennzeichnung der Frau als nicht normgemäß aufgrund der fehlenden „Lebensquelle“ macht dies mehr als deutlich. Um die Norm zu erfüllen, bedarf es eines inhärenten Bewegungsprinzips, welches die Frau naturgemäß nicht besitzt, der Mann hingegen schon, und zwar in Form des Samens. Zur Erklärung des Ursprungs dieses Bewegungsprinzips greift Aristoteles auf die bereits angesprochene körpereigene Wärme zurück: „Es ist in allem Samen enthalten, was ja den Samen überhaupt erst fruchtbar macht, als sogenannte Wärme.“[4] Dem Samen wohnt aufgrund seiner Wärme also das göttliche Bewegungsprinzip inne, durch das er die Materie, die durch die Frau bereitgestellt wird, in der Vereinigung zu einem Embryo formt. Wärme und Kälte sind in diesem Zusammenhang auch dafür verantwortlich, ob der Embryo männlich oder weiblich wird:

 

„Der Grund für die Entartung der Bewegungen [gemeint ist die Entwicklung eines weiblichen Embryos (!)] liegt darin, dass alles Wirkende auch etwas erleidet von dem, woran es wirkt, so wird das Messer stumpf durch das, was es schneidet, das Wärmende kalt durch das, was es erwärmt, und so wird jedes Bewegende mit Ausnahme des ersten wieder bewegt. […] Bisweilen ist auch überhaupt das Erleiden stärker als das Wirken und wurde das Wärmende abgekühlt, das Kältende erwärmt, ohne etwas erreicht zu haben oder doch weniger, als es erlitt. […] Das, was die Einwirkung erfährt, missrät und wird nicht bewältigt entweder, wenn das andere, was zur Reife bringen und bewegen soll, nicht kräftig genug ist, oder wenn das, was gereift und gegliedert werden soll, zu massig oder zu kalt ist.“[5]

 

Wenn die Kälte der weiblichen Katamenien überwiegt oder aber die Wärme des männlichen Samens nicht stark genug ist, kann das optimale Ergebnis des Zeugungsprozesses nicht verwirklicht werden, es entsteht ein für Aristoteles mangelhafter Mensch. Dies unterstreicht erneut Aristoteles‘ Androzentrismus, denn mit der Wärme ist gleichzeitig die Kraft der Bewegung verbunden, die so zum männlichen Prinzip erhoben und als wertvoller bewertet wird als der bloße Stoff. Das Männliche ist für Aristoteles also Bewegung, Wärme und Aktivität und hat damit mehr Anteil am Göttlichen, was eine Hierarchie der Geschlechter weiter zementiert:

 

„Da nun die erste Quelle der Bewegung in ihrem Wesen immer höher steht und göttlicher ist, die den Begriff und die Gestalt des Stoffes in sich befasst, und da es sich empfiehlt, das Höhere von dem Geringeren zu trennen, deswegen ist überall, wo und wie weit es möglich ist, vom Weiblichen das Männliche getrennt. Denn ranghöher und göttlicher ist der Bewegungsursprung, der als männlich in allem Werdenden liegt, während der Stoff das Weibliche ist.“[6]

 

Aristoteles‘ Argumente sind aus heutiger Sicht natürlich nicht haltbar und pendeln zwischen absurd und albern. Dennoch hat diese Geschlechterkonzeption ihre Wellen geschlagen: Zwar wird heutzutage nicht mehr über innewohnende Wärme als Fundament der Geschlechterhierarchie diskutiert, es gibt jedoch andere Vorstellungen und Scheinargumente, die sich bis in die Moderne halten – beispielsweise die dualistisch essentialistische Zuschreibung von Männlich-Rational und Weiblich-Emotional. Doch im Gegensatz zu heutigen Antifeministen muss man bei Aristoteles beachten, dass er ein Kind seiner Zeit war. Dies ist nicht als Entschuldigung zu verstehen, seine Ausführungen sind und bleiben entwürdigend und problematisch, doch im Großen und Ganzen bezog sich Aristotles auf das (scheinbare) Wissen seiner Zeit. Problematisch ist hierbei die enge Verquickung proto-biologischer Beobachtung und moralischer Beurteilung: Die Säftelehre wird bei Aristoteles nicht nur zur Erklärung der sexuellen Differenz genutzt, sondern entfaltet zudem ebenfalls einen normativen Charakter. Natürlich gibt es auch heutzutage eine biologische Perspektive auf die Geschlechterdifferenz, doch würde niemand, der bei Verstand ist, daraus eine bestimmte Hierarchie ableiten. Aristoteles kann man nur beschränkt einen Vorwurf machen, Antifeministen in der Manosphere hingegen sollten es besser wissen.



[1] Politik 1254 b3-b9

[2] Vgl. Tierkunde 608 a-b

[3] Über die Zeugung der Geschöpfe 737 a

[4] Über die Zeugung der Geschöpfe 736 b

[5] Über die Zeugung der Geschöpfe 732

[6] Ebd.

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