Blackfacing auf der Bühne
- Henne R.
- 16. Aug. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Apr. 2024

Wer kennt sie nicht, die Narren zu Karneval, die mit schwarz bemalten Gesichtern und nur mit Fellen und Lendenschurz bekleidet einen wilden Kannibalen mimen, im besten Falle noch mit Knochen im Haar und Keule in der Hand, damit auch der Letzte erkennt, dass hier offensichtlich ein „authentischer“, unzivilisierter Wilder dargestellt werden soll. Purer Rassismus sagen die einen, zu Karneval zugehörig und somit eine Tradition die anderen. Geht man vor seinem inneren Auge die bislang miterlebten Karnevalsfeiertage durch, bemerkt man in der Tat anhand der unzähligen betrunkenen Bob Marleys auf den Straßen, dass Blackfacing anscheinend tatsächlich zum „guten Ton“ des Karnevals zu gehören scheint; ebenso jedoch auch sexualisierte Gewalt gegen Frauen oder der obligatorische, eine Woche andauernde Vollrausch in der Innenstadt.
Die Frage ist also weniger, ob Blackfacing eine Tradition darstellt, sondern vielmehr, ob diese Tradition sinnvoll oder moralisch vertretbar ist. Verfechter des Traditions-Arguments unterliegen dabei ganz offensichtlich einem naturalistischen Fehlschluss: Nur, weil Blackfacing stattfindet, heißt dies nicht, dass dies so sein muss oder gar so sein sollte. Es mag für die weiße Hegemonie durchaus belustigend sein, im Kern handelt es sich jedoch um eine zutiefst diskriminierende Handlung, die bestehende rassistische Stereotype aufgreift und reproduziert. Deutlicher wird dies, wenn man sich die Wurzeln des Blackfacings vor Augen führt: Angefangen hat der humoristische Rassismus im 19. Jahrhundert in Amerika in den sogenannten „Minstrel-Shows“. In diesen schlüpften weiße Schauspieler in die Rolle des schwarzen „Jim Crow“, indem sie sich das Gesicht bemalten, sich dickere Lippen schminkten und auf weitere rassistische Stereotype rekurrierten, um damit zur allgemeinen Belustigung des Publikums beizutragen.
Blackfacing ist jedoch mehr als nur ein historischer Anachronismus oder der Gegenstand jecker Kostümfetischisten: Auch in der heutigen Theaterlandschaft gehört diese rassistische Kulturpraxis der entindividualisierenden schwarzen Maskerade zur Realität. Ein Beispiel ist die Premiere der Oper „The Rake’s Progress“ in Bremen 2018. Auch hier wurde einem Sänger das Gesicht schwarz bemalt, laut Intendant ging es dabei jedoch nicht um die Abbildung einer schwarzen Person, weshalb es nicht als Blackfacing gelten könne, sondern um die Darstellung des Teufels, aufgrund der Zeichenhaftigkeit sei die Schwärzung des Gesichts also vertretbar. Doch genau diese Semiotik ist es, die problematisch ist: Das Schwarze ist als das Diabolische markiert – dies ist genau das Verletzende und Diskriminierende. Trotz entgegengesetzter Intention kann diese Praktik also durchaus als problematisch aufgefasst werden.
Deutlich wird dies auch in dem Stück „Unschuld“ von Dea Loher. Schauspieler Andreas Döhler spielte 2011 einen Flüchtling aus dem Süden, selbstverständlich mit schwarz bemaltem Gesicht, damit dies auch wirklich jeder Theaterbesucher begreift und erkennt. Nach entsprechenden Protesten von Aktivisten wurde auf das Blackfacing verzichtet, stattdessen wurde Döhler das Gesicht weiß bemalt, um so die „Minstrel-Shows“ kritisch umdrehen zu können. Die Proteste jedoch blieben bestehen, es wurde die Frage gestellt, warum auf die Bemalung nicht gänzlich verzichtet werden könne und auch Chefdramaturgin Sonja Anders stellte fest: „Rassistische Mittel mit einem antirassistischen Impuls einzusetzen, funktioniert nicht.“ [1]
Häufig wird versucht, den Einsatz des Blackfacings als theatralisches Mittel zu legitimieren oder aber es wird darauf verwiesen, dass nicht genug schwarze Schauspieler zur Verfügung stehen würden, um schwarze Figuren zu spielen. Hier wird ein weiteres Problemfeld erkennbar: Blackfacing ist nicht die einzige Möglichkeit, die Bedeutung von Hautfarben im dramaturgischen Kontext zu transportieren. Hier kann die Inszenierung einen kreativen Raum eröffnen, die Bedeutung von Hautfarben anderweitig zu vermitteln. Zudem muss man die Frage stellen, warum Weiße alles, Schwarze aber nur schwarze Figuren spielen können sollten. Warum muss ein schwarzer Hamlet direkt mit einer bestimmten Bedeutung markiert sein? Kann ein schwarzer Schauspieler nicht auch Hamlet spielen, weil er zufällig als Künstler die Zerrissenheit des Hamlet am besten ausspielen kann?
Ein weiteres Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist Peter Lunds Inszenierung der Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek aus dem Jahr 2022. Auch hier wurde auf das Mittel des Blackfacings zurückgegriffen, es wurde in diesem Fall jedoch als „historische Zumutung“ aufgefasst, da sich die Uraufführung 1928 im Münchner Gärtnerplatztheater ebenfalls dieser Praktik bediente. Die Figur des Jonny wurde in der Neuinszenierung auf der Bühne bemalt – und auch wieder abgeschminkt, um so „die Perversion des Akts darzustellen“. [2] Kann Blackfacing in diesem Kontext also als künstlerische Freiheit betrachtet und damit moralisch legitimiert werden? Die kurze Antwort: Nein. Die lange Antwort ist jedoch etwas komplizierter und differenzierter – wobei der heutige Zeitgeist mit seinem Hang zur Polarisierung selten Raum für die Differenzierung komplexer Problemzusammenhänge lässt. Unternehmen wir dennoch einen Versuch: Kunst kann nicht nur ansprechend und schön, sondern auch dreckig, anstößig und verstörend sein. Denken wir dabei nur an die Filme des dänischen Regisseurs Lars von Trier – von den einen als brillanter Künstler stilisiert, von den anderen als ekelerregender Produzent gewaltpornographischen Schunds verschrien – oder auch an die Musik Till Lindemanns: Freilich zu der Zeit, als lediglich seine gewaltverherrlichenden Texte und weniger die Berichterstattung über missbrauchte Frauen im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Aufschreis standen. Kurzum: Kunst kann durchaus auch den Skandal bewusst provozieren. Mit dieser Neuinszenierung tat Lund genau dies: Durch das Skandalon des Blackfacings wurde die Grenze des Sag- und Machbaren gezielt übertreten, wodurch die Problematik wieder ins kollektive Bewusstsein trat und der Diskurs erneut angefacht wurde. Zudem unterscheidet sich seine Verwendung dieser Praktik von den anderen Beispielen, die in diesem Artikel zitiert wurden. Es ging hierbei nicht zentral um die Markierung des Schwarzseins durch Blackfacing, sondern ganz konkret um eine Reflexion der Praktik selbst – und diese lässt sich in diesem Rahmen nur durch ihre Verwendung realisieren. Ist dies nun ein Freifahrtschein für die Verwendung dieses rassistischen Mittels? Mitnichten! Die künstlerische Intention bietet keine Grundlage für eine moralische Legitimation. Selbst wenn die Markierung des Schwarzseins nicht im Vordergrund steht, schwingt sie dennoch immer mit, da Blackfacing immer auf die rassistische Tradition der „Minstrel-Shows“ verweist. Ich kann aber dennoch durchaus den Wert der Eröffnung eines Diskursraumes anerkennen und die Verwendung des Blackfacings trotzdem als moralisch unzulässig ablehnen.
Auch wenn Blackfacing abgelehnt werden muss, spreche ich mich nicht für ein kategorisches Verbot aus. Es ist nicht so, dass ich glaube, dass es irgendeine Form der Bemalung gibt, die moralische Legitimation für sich beanspruchen kann, im Gegenteil. Aber ein Verbot impliziert die Notwendigkeit einer moralischen Reinheit der Kunst, welche diese nicht einzulösen vermag. Statt also Verbote zu fordern, sollten wir das Pferd von hinten aufzäumen – zumal die besprochenen Beispiele und der mit ihnen verbundene gesellschaftliche Aufschrei zeigen, dass das gesellschaftliche Problembewusstsein durchaus als Korrektiv fungieren kann. Theater muss sich den Veränderungen des Zeitgeistes anpassen, konkret bedeutet dies: Theater muss diverser werden. Wie die Reporter der taz feststellten, waren die einzigen People of Color bei der Premiere der Oper „The Rake’s Progress“ diejenigen, die gegen einen Obolus die Jacken und Mäntel der Besucher an der Garderobe entgegennahmen. [3] Die Ensembles bestehen zu großen Teilen aus weißen Schauspielern, weil es angeblich nicht genug schwarze Figuren in Stücken gibt, um schwarze Schauspieler fest einzustellen. Doch warum sollten schwarze Schauspieler nicht auch weiße Rollen spielen dürfen? Schließlich können auch Frauen männliche Rollen spielen, Stichwort Cross-Gender-Besetzung. Damit Theater ein Raum der Diversität werden kann, muss sich das Theater seiner rassistischen Darstellungspraxen zunächst bewusstwerden, um diese in einem nächsten Schritt aufbrechen zu können. Nur so kann ein pluralistischer und offener Raum geschaffen werden, der dem modernen Zeitgeist entspricht und ohne Unterdrückung und Diskriminierung funktioniert.
Quellen:
[2] https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/pro-contra-blackfacing-oper-stilmittel-kommentar-100.html
Titelbild: Collage von Lisa Maria